Stimme einer Gastbloggerin

Da ich selber zur Zeit nur spannende Geschichten über die eiernde Rotationsbewegung meines Ventilators an der Schlafzimmerdecke erzählen könnte, dachte ich mir, ich verwende einen Text meiner ASA-Tandem-Partnerin. Bella arbeitet nicht bei KM8, sondern im Ministery for Education and Sports in der Innenstadt. Ihre Arbeit dort ermöglicht ihr einen umfassenden Einblick in das laotische Bildungssystem, den ich persönlich sehr spannend finde. Hier also ein Text für die Fans von härteren Fakten unter euch 🙂

bella

Meine Mitbewohnerin Bella, Autorin dieses Textes.

” (…) Ich komme so gegen zwanzig nach acht am Ministerium an, schnell das Fahrrad abgeschlossen und Richtung Bad. Dort ziehe ich mir schnell meinen Sinh an, denn aufs Rad kann ich damit nicht steigen. Vier Stockwerke weiter oben, zweite Tür auf der linken Seite, ist mein Büro. Wir sind eigentlich zu fünft hier, doch oft sitze ich hier auch alleine. Die letzten drei Tage ist die Hälfte der Belegschaft jeden Tag zum Haus eines verstorbenen Kollegen gegangen. Khambai ist auch nicht an ihrem Schreibtisch, aber ich sehe ihre leere Kaffeetasse. Ich packe meine Sachen aus, stelle den Laptop an und mache mir schnell selbst einen Kaffee. Dann setze ich mich hin, öffne meinen Collegeblock und beginne zu lesen: Lifelong Learning Policies, Strategies and Programmes, das laotische Bildungssystem und Pläne, wie dieses verbessert werden soll. Es blieb nämlich nicht dabei, dass ich eine zweiseitige Zusammenfassung korrigieren sollte. Nun unterstütze ich meinen laotischen Kollegen darin einen Bericht von 22 bis 30 Seiten über den Stand von Lebenslangen Lernen in Laos und erfolgreichen Strategien und Projekten zu verfassen, der als Antrag für ein SEAMEO (South East Asian Ministers of Education Organisation) und UNESCO Projekt gebraucht wird. Für das Ganze bleibt uns noch genau ein Monat, ein wenig hat er schon begonnen sich zu erkundigen, aber so genau scheint er nicht zu wissen wie er anfangen soll diesen Report zu schreiben. Eigentlich kommt er auch gar nicht aus dem Bildungsbereich. Er hat E-Government in Neuseeland studiert. Da es aber niemanden anders für die Stelle gab, hat er es übernommen.

Ein kleiner Einblick in das laotische Bildungssystem:

Den übergreifenden administrativen Bereich übernimmt das Bildungsministerium hier in Vientiane und über das Land verteilt gibt es ein Netzwerk von Provincial Education Services (PES) und District Education Bureaus (DEB). In den Dörfern liegt Bildung in den Händen d* Dorfältesten, eines Schulverwaltungskomitees und den jeweiligen Schulleiter*innen. Manchmal findet hier nur die Grundschulausbildung statt. Es gibt Krippen für Kinder bis zu zwei Jahren, doch diese werden kaum in Anspruch genommen. Vor 10 Jahren waren es nur 0,6% der Zielgruppe. In Kindergärten waren es 6% der 3-4 Jährigen und 9-10% der 5 Jährigen. Bis 2015 wurde sich ein Ziel von 30% gesetzt, ob man dort angekommen ist, versuche ich noch herauszufinden. Genau wie in Deutschland werden die Kinder in Laos mit sechs Jahren eingeschult. Fünf Jahre lang gehen sie dann zur Primary School, welche verpflichtend für Alle ist. Die Anzahl von Schulabbrecher*innen und Kindern, die gar nicht zur Schule gehen ist immer noch relativ hoch.

Im Zensus 2005 wurden 49 verschiedene ethnische Gruppen anerkannt, die zu vier verschiedenen Sprachfamilien gezählt werden: Die Lao-Tai Sprachfamilie macht 86% der Bevölkerung aus, 24% zählen zur Austro-Asiatischen, 8% zur Hmong Mien und 3% zur Sino-Tibetanischen Sprachfamilie. Die Lao-Tai Gruppen leben traditionell im Flachland, wohingegen die Hmong-Mien und Sino-Tibetanischen Gruppen in höheren Gebieten und auf Bergen leben. Besonders in den bergigen Gebieten gibt es teils noch Dörfer, in denen die Menschen keinen Zugang zu Schulen haben und da sich das Schuljahr nicht nach den Jahres- und Erntezeiten richtet, werden die Kinder irgendwann wieder aus der Schule genommen um der Familie in der Landwirtschaft oder bei anderer Arbeit zu helfen. Auch die unterschiedlichen Sprachen, Religionen und kulturellen Hintergründe machen es teils sehr schwierig, den Zugang zu diesen Ethnien zu finden.
Auf die Primary School folgen dann jeweils drei Jahre in der Lower Secondary und Upper Secondary School. Wer möchte, kann auch schon nach der Lower Secondary School abgehen und eine dreijährige Ausbildung machen, wer länger in der Schule bleibt, kann so ähnlich wie bei uns die Ausbildungszeit auf zwei Jahre verkürzen. Man kann aber auch nach der achten Klasse eine einjähriges Lehrer*innentraining absolvieren und dann in Kindergärten arbeiten. Für die anderen Schularten benötigt man je nach Schulabschluss Training von 1-3 Jahren, womit wir auch gleich bei einer weiteren Herausforderung des Bildungswesens hier sind: die Ausbildung von Lehrer*innen. Es ist deutlich, dass die kurze Zeit nicht reicht um Personen verschiedenste Unterrichtsmethoden und Fachwissen zu vermitteln. Interaktiver Unterricht ist hier nicht verbreitet und die Stunden sind geprägt von frontalen Unterrichtsmethoden, z.B. liest der Lehrer einen Text auf Englisch vor und übersetzt den dann für die Klasse. Außerdem gibt es weder verpflichtende Weiterbildungen, noch besonders gutes Gehalt. Viele Lehrer*innen oder auch Angestellte des Bildungsministeriums haben deshalb noch andere Jobs durch die sie sich das Leben finanzieren können. Besonders für Vientiane reicht das normale Gehalt nicht, denn wie ich es bisher einschätzen kann, sind die Lebenshaltungskosten denen die ich in Rostock hatte relativ ähnlich.
Die größte Herausforderung ist aber wohl die laotischen Menschen dafür zu sensibilisieren wie wichtig eine gute Ausbildung für sich selbst und die Entwicklung des Landes ist. Besonders auf Lebenslanges Lernen soll jetzt geachtet werden, dafür gab es in diesem Jahr eine neue Verordnung, die zum Ziel hat Fähigkeiten und Kompetenzen in der bestmöglichen Lernumgebung zu bieten, die Bürger*innen zu ermutigen je nach Bedarf und Lebenssituation an verschiedenen Programmen teilzunehmen und sich auf alle Bildungs- und Altersstufen beziehen soll. Über diese Verordnung, wie sie entstanden ist und welche Herausforderungen es gegeben hat, ist der Großteil unseres Berichtes. Besonders, da auch finanzielle Unterstützung im Rahmen dieses Projektes beantragt wird, habe ich ganz schön Respekt vor der Aufgabe. Da möchte man nichts falsch machen und dann dafür mitverantwortlich sein, dass das Bildungsministerium, welches so schon nicht ausreichend Ressourcen wie benötigt werden würden hat, diese Förderung nicht bekommt.

11.30 Uhr, Mittagspause. Mein Kopf ist immer noch voll von verschiedenen Verordnungen, Evaluationen und Programmvorschlägen. B steckt den Kopf durch die Tür, „Lunch?“. Ich nicke, „Yes, just a second“, schließe meinen Laptop, suche meine Handtasche aus dem Rucksack und mache das Licht aus. (…)”

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